Geschichte des Rassismus in Europa

Geschichte des Rassismus in Europa

Ab der Neu­zeit trans­for­mier­te sich in Euro­pa das vor­mals kul­tur- bzw. reli­gi­ons­be­zo­ge­ne Othe­ring zu einem (suk­zes­si­ve durch­ge­setz­ten) bio­lo­gis­ti­schen „Ras­se­den­ken“ — eine Ent­wick­lung, die sowohl mit dem euro­päi­schen Kolo­nia­lis­mus und Impe­ria­lis­mus zusam­men­hängt, als auch mit der jahr­hun­der­te­al­ten Geschich­te des euro­päi­schen Anti­ju­da­is­mus; der, obwohl Anti­se­mi­tis­mus und Ras­sis­mus von­ein­an­der abzu­gren­zen sind, als Blau­pau­se ras­sis­ti­schen Othe­rings gel­ten kann.

León Poli­a­kov (1999) sieht die ers­ten Anzeich­nen für ras­sis­ti­sche bzw. bio­lo­gis­ti­sche Zuschrei­bun­gen an „die Ande­ren“ bereits im aus­ge­hen­den 15. Jahr­hun­dert, begin­nend mit der so genann­ten Recon­quis­ta, der „Rück­erobe­rung“ der mau­ri­schen Pro­vinz Al Anda­lus in Süd­spa­ni­en. Als danach Muslim_innen sowie Jüdin­nen und Juden ver­folgt und ver­trie­ben wur­den, war es zunächst noch mög­lich, der Ver­fol­gung durch den Über­tritt zum Chris­ten­tum zu ent­ge­hen. Dem wur­de aller­dings bald mit dem Ruf nach einer „Rein­heit des Blu­tes“ (Lim­pie­za de Sang­re) ein Ende gesetzt — das jedoch vor allem mit Blick auf die jüdi­schen Con­versos. Dies geschah unter ande­rem des­halb, da die­se im Gegen­satz zu ver­folg­ten Muslim_innen nicht nach Nord­afri­ka vor der Repres­si­on in Spa­ni­en flo­hen, son­dern in ande­re euro­päi­sche Länder.

Nicht zufäl­lig wird also der Über­gang vom vor­mo­der­nen kul­tu­ra­lis­ti­schen Othe­ring zum moder­nen bio­lo­gis­ti­schen Ras­sis­mus an der Trans­for­ma­ti­on des christ­li­chen Anti­ju­da­is­mus fest­ge­macht: Bis zur Neu­zeit wur­de die­ser vor allem mit reli­giö­sen Dif­fe­ren­zen und mit dem „Got­tes­mord-Vor­wurf“ begrün­det, danach schrieb die neu ent­ste­hen­de „Rassen“lehre Jüdin­nen und Juden nega­ti­ve Eigen­schaf­ten zu, die als ange­bo­ren gal­ten. Mit der fort­schrei­ten­den Kolo­ni­sie­rung immer wei­te­rer Tei­le der Welt ver­än­der­te sich jedoch auch der ras­sis­ti­sche Dis­kurs inner­halb Euro­pas. Das Inter­es­se an so genann­ten „wil­den Völ­kern“ wuchs und spä­tes­tens mit dem Ein­set­zen des trans­at­lan­ti­schen Sklav_innenhandels ab dem 16. Jahr­hun­dert wur­de zudem die Funk­ti­on von Ras­sis­mus als Legi­ti­ma­ti­ons­ideo­lo­gie für Ver­fol­gung und Ver­skla­vung deutlich.

Den end­gül­ti­gen Über­gang von haupt­säch­lich kul­tu­ra­lis­ti­schen Zuschrei­bun­gen hin zu einem bio­lo­gis­ti­schen Ras­sis­mus und „Ras­se­den­ken“ ver­or­tet Geor­ge L. Mos­se (1990) jedoch erst im 18. Jahr­hun­dert im Gefol­ge der Auf­klä­rung und der damit ein­set­zen­den human­wis­sen­schaft­li­chen For­schung. Die neu ent­ste­hen­den Natur­wis­sen­schaf­ten ermög­lich­ten erst eine pseu­do-wis­sen­schaft­lich unter­mau­er­te Ein­tei­lung von Men­schen in unter­schied­li­che „Ras­sen“ — und damit in wei­te­rer Fol­ge die kom­plet­te Natu­ra­li­sie­rung bzw. Bio­lo­gi­sie­rung sozia­ler Dif­fe­renz­li­ni­en. Inner­halb Euro­pas fand die­ses „Ras­se­den­ken“ ab der Hoch­zeit des euro­päi­schen Impe­ria­lis­mus im Zuge des so genann­ten Scram­ble for Afri­ca, mit dem Auf­kom­men völ­ki­scher Natio­nal­be­we­gun­gen und schließ­lich im Natio­nal­so­zia­lis­mus und der Sho­ah sei­nen schreck­li­chen Kul­mi­na­ti­ons­punkt. Ein kur­zer Abriss der Geschich­te des euro­päi­schen Ras­sis­mus ver­weist also dar­auf, dass die­ser tat­säch­lich ein Pro­dukt des­sen ist, was Theo­dor W. Ador­no und Max Hork­hei­mer als Dia­lek­tik der Auf­klä­rung bezeichnen.